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Jessica Volkwein, Geschäftsführerin bei der Executive Search-Beratung LAB & Company
LAB & Company Management GmbH

Jessica Volkwein, Geschäftsführerin bei der Executive Search-Beratung LAB & Company

Jessica Volkwein, Geschäftsführerin bei der Executive Search-Beratung LAB & Company, erläutert im Interview, wie Top-ManagerInnen in der Automobilindustrie den Wandel zur E-Mobilität erfolgreich mitgestalten.

Die deutschen Autokonzerne stehen vor großen Veränderungen. Zunehmend gewinnt die Elektromobilität an Bedeutung und erfordert neue Herangehensweisen und Prozesse. Unternehmensberaterin Jessica Volkwein erklärt, vor welchen Herausforderungen die Branche steht und was die Konzerne bei der Recruiting neuer Fachkräfte im Bereich Emobilität beachten sollten.

emobilitaet.online: Frau Volkwein, Volvos Submarke Polestar attackierte kürzlich in einer Medienkampagne die deutsche Automobilindustrie. Ein netter PR-Gag? Oder verpassen die etablierten Hersteller aufgrund fehlender Veränderungsbereitschaft bzw. –fähigkeit beim Thema E-Mobilität tatsächlich den Anschluss?

Jessica Volkwein: Das ist keinesfalls so, die „Innovations-Schelte“ gegenüber OEM und Zulieferern ist in meinen Augen nicht gerechtfertigt. Dass junge, agile Wettbewerber mit einem hoch innovativen Produkt einen Markt revolutionieren können, der seit praktisch 100 Jahren mit der gleichen Basistechnologie funktioniert, ist ja der natürliche Lauf der Dinge.

Gerade bei der E-Mobilität garantieren aber weder großartiges Marketing und Produktversprechen, dass Marktneulinge wie Polestar, Tesla oder chinesische „Hidden Champions“ wie BJEV sich in zehn Jahren tatsächlich auf Augenhöhe mit etablierten, großen Brands bewegen. Da entscheiden noch andere Faktoren über den langfristigen Erfolg oder Misserfolg – Lieferfähigkeit, langfristige Qualität und am Ende natürlich auch die Fähigkeit, Kunden mit neuen Fahrzeuggenerationen immer wieder für sich gewinnen zu können – auch wenn gerade keine technische Revolution ansteht.

Zudem zeigen ja aktuell VW, Porsche und weitere OEMs sowie die großen Zulieferer klar, dass sie die Kraft und die finanziellen Mittel aufbringen, um langfristig in neue Technologien und Entwicklungsfelder wie die E-Mobilität zu investieren.

Jessica Volkwein: Richtig – aber im Unterschied zu den reinen E-Herstellern befinden sich die etablierte Anbietern einem besonderen „Spannungsfeld“: sie verdienen heute das Geld noch mit der konventionellen Technologie, erzielen mit den hohen Investitionen in den Aufbau völlig neuer Kompetenzen und Technologien aber eher mittel- bis langfristig Erträge.

Hinzu kommt, dass ein Automobilhersteller oder Zulieferer seine Wertschöpfungsnetzwerke nicht von heute auf morgen auf die Fertigung von E-Fahrzeugen in großen Stückzahlen umstellen kann. Zu berücksichtigen sind hier über Jahrzehnte gewachsene Strukturen. Bei einer so gravierenden Veränderung sind extrem viele Aufgaben bei Organisation, R&D, Qualität und Produktionskapazitäten zu lösen – quasi ein Richtungswechsel bei voller Fahrt. Und speziell die OEM sind aktuell gefordert, eine ganz zentrale Strategiefrage für sich zu klären: Welchen Wertschöpfungsanteil wollen bzw. können sie am Ende am E-Fahrzeug überhaupt haben? Es wäre ein fataler Abstieg, am Ende nur noch Lieferant von Design und Karosserie zu sein, während andere den Profit mit Antriebstechnik, Innenraumausstattungen, Software oder Dienstleistungen machen.

LAB & Company Management GmbH

Der Transformationsprozess hin zu neuen Technologien umfasst komplexe Wechselwirkungen verschiedenster Faktoren.

Sie besetzen seit einigen Jahren Top-Management-Positionen in der Automobilindustrie mit Kandidaten, die neue Ideen umsetzen und Veränderungen vorantreiben sollen. Wie schultern diese Führungskräfte die Aufgabe „E-Mobilität“?

Jessica Volkwein: Unterschiedlich – je nach Freiheitsgrad in einer Organisation, der grundsätzlichen Unternehmensstrategie und Commitment der Geschäftsführung oder Eigentümer des Unternehmens. Grundsätzlich gilt, dass sowohl die Hersteller als auch die Zulieferer für die E-Mobilität völlig neue Kompetenzfelder aufbauen müssen. Aus einem Verbrennungsmotorkonstrukteur wird kein Leistungselektroniker! Dies ist eine völlig andere Art des Wandels. Hier werden etablierte Kräfte verlieren und vermutlich nur in begrenztem Umfang für neue Aufgaben qualifiziert werden können. Dies ist eine wesentliche Ursache für die Ablehnung ggf. sogar aktive Behinderung von Veränderungsprozessen. Daraus resultiert die wesentliche Frage für die Unternehmen, wie dieser Wandel organisiert und gestaltet werden kann.

Welche „Best Practice“-Beispiele für Lösungswege beobachten Sie im Markt?

Jessica Volkwein: Mir fällt auf, dass nicht nur einige OEM, sondern auch insbesondere die großen mittelständischen Zulieferer mit guten Beispielen voran gehen. Zumal die Transformation und der damit einhergehende „Kulturschock“ für die Mitarbeiter ja mehrere Felder betrifft: die Antriebsarchitekturen des „Verbrenners“, die anspruchsvolle Elektrochemie der Batteriesysteme, die Leistungselektronik und nicht zuletzt die neuen Antriebstechnologien. Hier ist ja vor allem der Wandel der zugehörigen Produktionsverfahren zu meistern. Das gelingt Unternehmen besonders gut, die die richtige Aufstellung ihrer Führungsmannschaft beherrschen.

Einer unserer Kunden aus der Automobilzulieferindustrie hat sich zum Beispiel vor wenigen Jahren dazu entschlossen, neben mechatronischen Komponenten u.a. auch Batteriemanagementsysteme für E-Fahrzeuge zu entwickeln. Es wurde eine neue Organisation gegründet und eine neue Führungskraft gewonnen, die die komplette E-Mobilitätsstrategie des Unternehmens verantwortet. Dieser vernetzte nun Mitarbeiter aus seiner „neuen“ Start-Up-Organisation geschickt mit den Mitarbeitern des „Stamm“-Teams. Hilfreich war auch, dass ein eigener Produktbereich mit eigenem Namen, „Branding“ und Leitbild gegründet wurde und dieser Bereich direkt dem Vorstand der Unternehmensgruppe zugeordnet wurde, um Entscheidungswege kurz zu halten.

Gibt es Führungskompetenzen, die hierzu zukünftig besonders gefragt sind?

Jessica Volkwein: Tatsächlich sind „klassische“ Führungsqualitäten wie eine konsequente, sichere Steuerung von Change-Prozessen natürlich von großem Vorteil. Aber wie schon angesprochen: Wir haben es hier mit einem besonders radikalen Wandel zu tun – die Startup-Kultur und die Neuartigkeit der technischen Aufgabenstellung treffen auf die etablierten Kompetenzen im Unternehmen. Um das zu managen, braucht es neben klassischen Führungsmethoden und hoher Kommunikationsfähigkeit auch Persönlichkeiten, die vom Typ her „Entrepreneure“ sind: Manager, die eine echte, intrinsische Motivation haben, mit ihrem Team die Welt zu verbessern.

Vielen Dank für das Interview!

Eine längere Fassung des Interviews finden Sie unter https://www.labcompany.net/einblicke/publikationen/richtungswechsel-bei-voller-fahrt/.