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Prof. Udo Onnen-Weber, Projektleiter von inmod
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Prof. Udo Onnen-Weber, Projektleiter von inmod

Interview mit Prof. Udo Onnen-Weber, Projektleiter von inmod – elektromobil auf dem Land

 

Wenn Elektromobilität den Wandel und Übergang zu einer neuartigen, nachhaltigen Mobilität ermöglichen soll, dann muss dies mehr beinhalten als den Tausch von Verbrennungsmotoren gegen elektrische Antriebe in PKWs und anderen Fahrzeugen. Neue Mobilitätsformen und Verkehrskonzepte müssen her, nicht nur für die Stadt, sondern gerade auch für vergleichsweise strukturschwache ländliche Regionen. An solchen Konzepten arbeitet auch eine Forschungsgruppe aus Mecklenburg-Vorpommern unter Leitung von Prof. Udo Onnen-Weber: Der Architekturprofessor gründete im Jahr 2008 das Kompetenzzentrum Ländliche Mobilität an der Hochschule Wismar und forscht seitdem intensiv zu den Themen Tourismus, Personennahverkehr und Elektromobilität im ländlichen Raum. Mit dem Projekt 'inmod' haben die Wissenschaftler ein innovatives, neuartiges Verkehrsmodell entwickelt, das Sie bereits unter Praxisbedingungen testen.

 

eMobilitätOnline: Herr Prof. Onnen-Weber, Sie leiten das Kompetenzzentrum Ländliche Mobilität der Hochschule Wismar und bearbeiten dort unter anderem das Projekt 'inmod' – können Sie uns kurz das Konzept und die Beweggründe vorstellen?

 

Prof. Onnen-Weber: Mecklenburg-Vorpommern ist ein Sonderfall unter den Bundesländern: über 80% der Fläche strukturschwacher Raum, keine Metropole oder Großstadt mit in die Region ausstrahlender Wirtschaftskraft, die demografische Entwicklung mit Abwanderung der Jüngeren, besser Ausgebildeten und dem Überbleiben von alten Menschen hat hier besonders zugeschlagen. Mecklenburg-Vorpommern hat unter den Bundesländern den heftigsten Armutsfaktor, Arbeitsplätze gibt es im Wesentlichen im Tourismus – niedrig bezahlt, häufig gering qualifizierend. In einem solchen Raum ist öffentliche Mobilität Mangelware, private Mobilität mit dem PKW für viele nicht mehr bezahlbar. Andererseits wissen wir, dass Mobilität bei der Sicherung der Daseinsvorsorge einer der wichtigsten Faktoren ist: Ohne bzw. reduzierte Zugriffe auf soziale Kontakte, Dienstleistungen und Waren ist Leben in Würde und eine Stabilisierung von Lebensraum nicht denkbar. Also mussten wir etwas tun, um in unseren strukturschwachen ländlichen Räumen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu revitalisieren. Unsere Idee dabei ist, die Linien zu splitten, also intermodal zu machen: die sogenannte erste Meile kann ein Fahrrad oder – wie bei inmod – ein Elektrofahrrad sein, der Bus fährt nur auf den Hauptstraßen die kürzeste Strecke von Start zu Ziel und die letzte Meile ist dann wieder ein niedrigschwelliges Verkehrsmittel – in den Städten kann das ein Fahrradverleihsystem sein, auf dem Lande – wie bei inmod – wieder ein Elektrofahrrad.

 

Wer ist noch an 'inmod' beteiligt?

 

In erster Linie sind die örtlichen und regionalen Busunternehmen zu nennen, die mit Mut und Eigeninitiative ihre Beteiligung am Projekt vorangetrieben haben. Dann haben wir mit der WEMAG AG ein Energieversorgungsunternehmen, das uns mit grünem Strom versorgen kann. Die Landkreise Nordwestmecklenburg, Vorpommern-Greifswald und Mecklenburgische Seenplatte unterstützen inmod mit Rat und Tat und vor allem vereinfachtem Verwaltungshandeln. Die wichtigsten Förderer sind aber das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, das mit 3,4 Millionen Euro das Forschungsprojekt unterstützt, das Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung Mecklenburg-Vorpommern, das mit über 1,5 Millionen Euro vor allem die Elektro- und Hybridbusse finanziert hat und die Hochschule Wismar, die die gesamte Forschungsinfrastruktur zur Verfügung stellt.

 

Das Projekt 'inmod' wurde im letzten Jahr mit dem E-Bike-Award von RWE und ExtraEnergy ausgezeichnet – handelt es sich um ein deutschlandweit bisher einzigartiges Konzept? Was ist das besondere an 'inmod'?

 

Es gibt einige Modelle, bei denen untersucht wird, wie Zweiräder im System von öffentlichem Nahverkehr wirken. Inmod ist aber bundesweit das einzige Projekt, das in dieser Größenordnung evaluiert, wie sich ein multimodales ÖPNV-System behauptet, bei dem die Bestandteile Busfahrt und Fahrradfahrt bzw. E-Fahrradfahrt gleichbedeutende, feste und systemische Bestandteile des ÖPNV sind. Das ist insofern bedeutsam, als dass das Personenbeförderungsgesetz fahrerlose Fahrzeuge in der ÖPNV-Finanzierung eigentlich ausschließt. Inmod stößt damit mutig und neugierig das Tor zu ganz neuartigen multimodalen Angeboten im ÖPNV auf. Stellen Sie sich vor, dass eine Gemeinde durch die Anmietung von Privatautos den Zubringer zu den Haltestellen gewährleistet und dafür Unterstützung aus der ÖPNV-Finanzierung bekommt – derzeit eine gewagte Vision, in ein paar Jahren vielleicht Realität. Wir gehen davon aus, das wir mit unserem Konzept in Kostenbereiche – sowohl für die Träger (i.d.R. Landkreise) als auch Nutzer – kommen, bei denen der Nahverkehr attraktiv und bezahlbar bleibt.

 

Richtet sich das Angebot ausschließlich an regelmäßige Nutzer des ÖPNV oder können die E-Bikes auch für spontane Busfahrten in Anspruch genommen werden?

 

Ja, auch spontane Nutzungen sind möglich und wünschenswert. Wir haben z.B. vor allem auch für Touristen attraktive Mobilitäts-Angebote. Allerdings ist unser Forschungsprojekt durch die Anzahl von Elektrorädern und Einstellboxen limitiert, so dass wir durchaus vor der Situation stehen können, dass Nachfrage vorhanden ist, aber alle Räder unterwegs sind.

 

 

 

Führt 'inmod' zu einer Verteuerung des ÖPNV?

 

Wie soeben schon gesagt, wir müssen zwei Kostenfaktoren untersuchen: was kostet der ÖPNV den Besteller von Linien (Landkreis) an Zuwendungen und wieviel muss der Kunde bezahlen. Derzeit ist vor allem in ländlichen Regionen Busverkehr kaum noch zu finanzieren. Er wird ausgedünnt, weil ÖPNV keine verpflichtende Regelaufgabe sondern freiwillig ist. Dem müssen wir entgegenwirken und das geht nur, wenn wir Lösungen finden, mit denen die Subventionen heruntergeschraubt werden können. Für den Kunden ist inmod i.d.R. nicht teurer. Bisher wurde die Fahrt nach den vielen Kilometern bezahlt, die der Bus durch die Dörfer kurvte, um die Kunden möglichst nah an ihrer Haustür abzuholen. Bei inmod ist die Busfahrt erheblich kürzer, der Tarif von daher günstiger. Es kommt für das E-Fahrrad eine geringe Tariferhöhung dazu. Insgesamt wird sich aber ÖPNV dadurch nicht verteuern.

 

In Teilen Mecklenburg-Vorpommerns wird 'inmod' schon seit Herbst letzten Jahres umgesetzt – wie sind die ersten Erfahrungen was Praktikabilität und Akzeptanz der Bevölkerung betrifft?

 

An der Praktikabilität arbeiten wir noch. Inmod ist ein Forschungsprojekt, d.h. wir forschen ständig nach funktionierenden Wegen zur Lösung aller Detailprobleme. Im Moment haben wir noch nicht alle logistischen Fragen endgültig gelöst. Wir sind aber auf dem Wege dahin. Zur Akzeptanz muss eindeutig festgestellt werden, dass überall dort, wo inmod angeboten wird, große Zufriedenheit und Freude und manchmal auch etwas zu viel Andrang herrscht. Da wir sehr enge Kontakte zur Bevölkerung halten, unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ganz viel persönliche Ansprache machen, wissen wir, dass vor allem die einheimische ältere Bevölkerung sich freut, wieder ein Mobilitätsangebot zu haben. Erfrischend und durchaus überraschend ist, dass gerade ältere Menschen nach einer Einweisung ins E-Fahrrad und dem Überwinden der ersten Ängste das Angebot freudig nutzen. Wir sind gespannt auf die Resonanz bei Touristen in der Saison 2013. Und wir müssen uns noch anstrengen, mehr Pendler vom Auto auf Rad und Bus zu bekommen.

 

Wie soll das System im Winter bzw. bei schlechten Wetterverhältnissen funktionieren, wenn die E-Bikes nicht eingesetzt werden können?

 

Inmod ist keine „Eierlegende Wollmilchsau“. All die Menschen, die nicht Fahrrad fahren können oder wollen, werden wir nicht erreichen. Und wir müssen im Winter in der kalten Zeit eine E-Fahrrad Pause einlegen. Die Akkus halten Kälte nicht gut durch und die Nutzer wollen zu Recht dann auch nicht mehr Radfahren. Wir versuchen dann eine Anrufvariante zu fahren: Wenn ein Kunde anruft, macht der Bus einen Abzweig in sein Dorf und holt ihn dort ab. Das ist aber noch nicht der Weisheit letzter Schluss.

 

Wie schätzen Sie die nahe und mittlere Zukunft der Elektromobilität insbesondere in ländlichen Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern ein?

 

Für mich ist Elektromobilität der Schlüsselfaktor zur Überwindung der Mobilitätskrise im ländlichen Raum. Wir haben doch grundsätzlich zwei Probleme: wir müssen unseren Naturraum schützen und von daher Abstand von der fossilen Mobilität nehmen und wir müssen Mobilität als Daseinsvorsorge wieder gewährleisten und kostengünstige Systeme anbieten. Für beides sind Elektromobilitätsideen hilfreich. Ich meine dabei nicht den Ersatz des Diesel- oder Benzinmotors in unseren Autos durch Elektromotoren. Ich meine ganz neue Leichtkraftfahrzeuge, langsamer als bisher, leichter als bisher, billiger als bisher. Der Twizy von Renault ist ein erstes (noch nicht ganz erwachsenes) Kind dieses neuen Ansatzes. Daran müssen wir weiterentwickeln. Unser Kompetenzzentrum hat dazu innovative Projekte in der Pipeline. Ich bin überzeugt, dass der Mobilitätswandel (und das ist mehr als nur Elektromobilität ) uns die nächsten Jahrzehnte in Atem halten wird. Das nächste Jahrzehnt wird ganz andere Fahrzeuge, ganz andere Mobilitätsangebote, ganz andere Akteure zeigen. Sie haben alle eins: sie fahren elektrisch.

 

Eine persönliche Frage am Schluß: Fühlen Sie sich über das Projekt hinaus der Elektromobilität verbunden und fahren Sie bspw. selbst auch ein Pedelec oder ein Elektroauto?

 

Ich kann das alles mit ja beantwortet: Mein Institut mit seinen 8 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen hat sich ganz dem Thema Elektromobilität verschrieben. Wir pflegen einen weiterführenden Ansatz als den der reinen Antriebssubstitution oder der Frage, wo die Ladestationen hin sollen und welcher Stecker der beste ist, wir denken über Mobilitätswandel und die Folgen für die ländlichen Regionen nach. Und das machen wir durchaus erfolgreich. Da gehört es natürlich dazu, dass man selbst auch Pionier ist: Das Institut ist mit Elektrofahrrädern ausgestattet, meine Frau und ich besitzen Elektrofahrräder und fahren viel damit, und ich habe mir gerade einen Renault Zoe (meines Wissens das erste Auto, das von vornherein als reines Elektroauto entworfen wurde) bestellt und hoffe, ihn ab Mai fahren zu können.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Weitere Informationen zu den Tätigkeiten des Kompetenzzentrums Ländliche Mobilität und dem Projekt inmod finden Sie hier.

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