Der ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) hat vorgeschlagen, die CO2-Grenzwerte für Neuwagen in der EU wegen der Coronakrise zu lockern und fällige Strafzahlungen der Automobilindustrie auszusetzen. Wirtschaftsverbände, die sich für einen flächendeckenden Aufbau der Elektromobilität einsetzen, reagieren mit deutlichen Worten.
„Den gesellschaftlichen Ausnahmezustand durch die Corona-Vorsorge zu benutzen, um industrielle Vorteile zu erlangen, ist schamlos und schockierend, noch dazu wenn sie von einem ehemaligen EU-Kommissar transportiert werden“, kommentiert Kurt Sigl, Präsident des Bundesverbandes eMobilität e.V. (BEM), den Vorstoß. Der Verband spricht für Unternehmen, Institutionen, Wissenschaftler und Anwender aus dem Bereich der Elektromobilität, die sich zu der Interessenvertretung zusammengeschlossen haben.
Die Notwendigkeit zum Umbau der Industrie zu mehr Nachhaltigkeit werde durch das Virus weder geringer, noch erleide die Branche bei fehlendem Absatz jetzt größeren CO2-Schaden, so Sigl weiter: „Vielmehr zeigt die Krise neue Handlungskorridore auf wie etwa durch mehr Digitalisierung oder aufkommende Behördenfitness, so dass die Zeit nach Corona umso besser für Entwicklungssprünge auch in der Automobilindustrie genutzt werden kann.“
"völlig kontraproduktiv"
Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie e.V. (BEE), fügt hinzu: „Die Coronakrise gegen die Klimakrise zu stellen, ist völlig kontraproduktiv. Wir müssen im Gegenteil daraus lernen und frühzeitig auf die Wissenschaft hören. So wie sie uns derzeit Vorschläge zur Eindämmung des Virus unterbreitet, so unterbreitet sie uns schon lange Vorschläge gegen die zunehmende Erderhitzung.“
Peter verweist in diesem Zusammenhang auf das Pariser Klimaabkommen und die konsequente Umstellung aller Sektoren – auch der Mobilität – auf Erneuerbare Energien. Die CO2-Grenzwerte für Neuwagen in der EU zu lockern, hieße die Wettbewerbsbedingungen für saubere Mobilität zu verschlechtern, sagt sie und mahnt: Damit würde Europa nicht nur die Einhaltung der Klimaziele gefährden, sondern falle im internationalen Wettbewerb um klimafreundliche Technologien noch weiter zurück. "Das muss von der Bundesregierung klar abgelehnt werden“, fordert sie.
"Krisenmanagement gefragt"
Die Corona-Krise trifft die Autobranche hart. Fabriken produzieren nicht mehr, die Nachfrage in wichtigen Märkten ist eingebrochen. "Wir stehen vor einer Herausforderung in bisher nie gekanntem Ausmaß", sagt die Präsidentin des Branchenverbandes VDA Hildegard Müller. "In dieser einmaligen Ausnahmesituation ist Krisenmanagement gefragt, nicht das Führen von politischen Debatten." Mit Blick auf mögliche strengere CO2-Grenzwerte auf EU-Ebene nach 2030 sagt sie: "Wir müssen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise daher erst seriös bewerten, bevor wir über mögliche zusätzliche Belastungen sprechen."
„Wir brauchen Konjunkturpakete, die Unternehmen im Bereich Mobilität vor den Folgen der Corona-Krise schützen und sie dauerhaft und nachhaltig widerstandsfähiger machen", ergänzt Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen Verkehrsclubs VCD. "Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, haben weitreichende Auswirkungen. Der Klimaschutz im Verkehr darf nicht aufgeweicht werden. Sonst laufen wir Gefahr, nach Bewältigung der Corona-Krise an der nächsten Herausforderung, der Klimakrise, zu scheitern. Ohne Verkehrswende ist das nicht zu schaffen. Dafür müssen die richtigen Weichen gestellt werden und Investitionen zielgerichtet in den Ausbau einer nachhaltigen Infrastruktur fließen. Wir brauchen einen Ausbau der erneuerbaren Energien und den beschleunigten Aufbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.“