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Sebastian Crusius kennt als Berater sowohl die Herausforderungen der Autohersteller als auch der Energieunternehmen beim Übergang zur Elektromobilität.
Sebastian Crusius

Sebastian Crusius kennt als Berater sowohl die Herausforderungen der Autohersteller als auch der Energieunternehmen beim Übergang zur Elektromobilität.

- Ein Gastbeitrag von Sebastian Crusius, Co-Founder des "Global Electric Club", zu möglichen Szenarien für zwei Industrien, die in den letzten 100 Jahren nicht allzu viele Berührungspunkte hatten. -

Zahlreiche Projekte von Energieversorgern und Automobilherstellern der letzten Jahre lassen erahnen, dass der Strom für Elektrofahrzeuge langfristig von größter Bedeutung für das Gesamtsystem Elektromobilität ist. Denn einerseits ist dieses Geschäft für die Automobilhersteller die größte Chance, ihre Kunden zuhause, beim Arbeitgeber und unterwegs mit Strom zu versorgen. Andererseits ist diese Versorgung von Haushalten und Unternehmen mit Strom die klassische Domäne der Energieversorger und Stadtwerke.

Autohersteller auf der Suche nach einer Strategie

Zuerst zum Automobilhersteller: Als erste Hersteller wie Renault, BMW, Opel oder Nissan innerhalb der letzten acht Jahre in den Markt von elektrischen Serienfahrzeugen einstiegen, wollten sie dem Kunden alle Fragen rund um das Laden beantworten. Dazu setzten viele dieser Häuser auf Kooperationen mit Energieversorgern. Damit konnten sie auch ungeliebte Probleme wie die Installation von Wallboxen oder den Zugang zu öffentlichen Ladesäulen durch Lieferanten und Partner lösen lassen. Die Retrospektive zeigt, dass zahlreiche dieser gemeinsamen Engagements heute bereits versandet sind.

Um ein Schnellladenetzwerk entlang der Autobahnen in Europa aufzubauen, startete 2017 das Konsortium IONITY, das ausschließlich durch Automobilhersteller gegründet wurde und ohne Energieversorger in ihrem Bunde auskommt. Trotz aller Erfolge des Konsortiums im Aufbau des Lade-Netzwerks machten sie zuletzt durch die Preise an ihren Ladesäulen Schlagzeilen. Gleichzeitig lassen jüngste Medienartikel verlauten, dass sich inzwischen sogar einzelne Hersteller wie Porsche und Audi daran wagen, ein exklusives Schnellladestationsnetz nur für die Premiumkunden dieser Marken aufzubauen.

Volkswagen wirbelt Wallbox-Markt auf

Gleichzeitig sind sich Brancheninitiativen wie die Nationale Plattform Mobilität der Zukunft sicher, dass die attraktiveren Disziplinen im Rennen um den Kunden vor allem das Laden zuhause oder beim Arbeitgeber, wo etwa 85% der Ladevorgänge stattfinden, ausmachen. Inzwischen ist jedem Automobilhersteller klar, dass die Elektromobilität die einzige Möglichkeit ist, die Klimaziele aus dem Pariser Klimabkommen zu erreichen. Damit wird auch bei Herstellern wie Volkswagen alles auf „E“ gesetzt und das Portfolio mit den batteriebetriebenen Automobilen um passenden Serviceangebote rund um das Mieten, Parken und Laden erweitert.

Nachdem die Wolfsburger bereits im Frühjahr 2019 ein eigenes Ökostrom-Produkt für Privatkunden in Deutschland lanciert haben, ist der jüngste Start der Volkswagen Wallbox zum Laden von Elektrofahrzeugen vermutlich vergleichbar mit einer Kampfansage für die Energie- & Elektroindustrie. Die Preise dieser Produkte starten für den Privathaushalt bei 399 Euro, wodurch die Marktpreise von Energieversorgern und Elektroinstallateuren fast halbiert werden - ohne dass man in diesem Segment bereits von einem Markt sprechen kann. Gleichzeitig werden neue Vertriebswege wie Online-Shops genutzt, um die Autohändler mit anspruchsvollen Fragen zu Genehmigungen, Zählern und Installation der Ladeeinrichtung zu verschonen. Das steigert die Margen und Skaleneffekte und bringt auch international Reichweite. Autohersteller dominieren daher vom „Erstkundenkontakt“ im Zusammenhang mit dem Kauf des Elektroautos und eröffnen Fahrern von Elektrofahrzeugen im Zielbild ein neues Ökosystem. Versicherung, Parken, Wartung und Strom selbstverständlich im Kauf oder Monatstarif inklusive.

Energieunternehmen können bestehende Versorgungsbeziehungen nutzen

Während sich die E-Autobauer mit den genannten  Maßnahmen auf zurückgehenden Fahrzeugabsatz, die Etablierung neuer Services und den Strom als neuen Kraftstoff einstellen, haben auch Energieversorgungsunternehmen das Thema Laden voll auf Ihre Agenda gesetzt. Gleichzeitig ist der Leidensdruck im Thema sowohl bei großen Energieversorgern als auch kommunalen Stadtwerken aufgrund der vergleichsweise geringen Zahl von Elektrofahrzeugen auf den Straßen aktuell noch gering. Zumal ihre „Tarifwechsler“ als preisgetriebene Kunden der Versorger über die letzten Jahre vorallem durch Vergleichsplattformen wie Verivox oder Check24 getrieben wurden, nicht durch Strom von Automobilherstellern.

Das größte Potenzial ergibt sich für die Energieunternehmen aus den laufenden Versorgungsbeziehung mit jedem Privathaushalt und Unternehmen, den Vertrauensvorschuss in vielen Energiethemen und häufig durch regionale Nähe. Zum öffentlichen Laden von Elektrofahrzeugen reichen die Angebote zahlreicher Stromversorger bereits heute. Plattformen zur Verbindung von Stromverbrauchern, Photovoltaikanlagen und Batteriespeichern sowie Apps für die intelligente Verbindung und das Monitoring von Elektrofahrzeugen sind dabei der konsequente nächste Schritt. Rückenwind erhalten die Energieunternehmen in diesen Themen häufig durch regionale Nähe, Netzwerke mit Installationspartnern und bestehenden Kundencentern zu Energiethemen.  

Mit Produkten rund um das Laden lässt sich noch nicht viel Geld verdienen

In puncto Finanzierung sind sich jedoch beide Industrien einig, dass im heutigen Geschäft mit dem Laden wenig Freude an Geschäftsmodellen aufkommt. Dazu arbeiteten jüngst sogar Spitzenverbände der Automobilhersteller, Energieversorger und Wohnungswirtschaft gemeinsam an Hebeln für das Laden und legten der Bundesregierung konkrete Förderungsvorschläge vor. Schließlich ist es für alle genannten Akteure noch ein großes Fragezeichen, wie sich mit Produkten rund um das Laden zeitnah Geld verdienen lässt. Hinzu kommt die Perspektive auf die langfristigen Einnahmequellen, wonach sowohl Autobauer als auch Energieversorgern heute bereits Schlüsselaktivitäten in der Werschöpfung Dritten überlassen müssen. Danach können sich Akteure wie der niederländische Wallbox-Hersteller EVBox oder der österreichische Softwareanbieter has.to.be bereits als Profiteure in diesem Rennen sehen, da sie die großen Marken mit Hardware und Software ausstatten.  

Schließlich ist noch die Frage der richtigen Fähigkeiten und Kompetenzen offen. Während die Plätze auf den klassischen Management-Positionen bei den Autoherstellern weiterhin an exzellente Ingenieure vergeben werden, erfordern die neuen Domänen für Automobil und Energie deutlich mehr Einblick in die gesamte Wertschöpfungstiefe und die Fähigkeit, sich Wissen für diese digitalen Themen anzueignen. Was im Rennen um den Kunden die Autobauer und Energieversorger verbindet, sind zunächst Spitzenplätze durch emotionales Marketing, große Budgets und bestehende Kundenzugänge. Ob das zum Erreichen der Ziellinie genügt, hängt jetzt von den richtigen Management-Entscheidungen und dem Talent zum Lenken schwerfälliger Maschinen auf neuem Terrain ab.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwingend die Meinung der Redaktion wider.


Über den Autor:

Sebastian T. Crusius ist Advisor und Gründer. Seit fast zehn Jahren arbeitet er an der Schnittstelle zwischen Automobilunternehmen, Energieversorgern und Digitalunternehmen in unterschiedlichen Management und Beratungsfunktionen. Als Advisor der Cosmic Cat Group berät er Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in Themenfeldern der Neuen Mobilität. Seit 2018 ist er Co-Founder des ersten Vorteilsprogramms für Elektromobilität „Global Electric Club“.